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Seit 20 Jahren präsentieren die Heidelberger Literaturtage Autoren jenseits der Bestsellerlisten. Zum Jubiläum vom 21. bis 25. Mai 2014 blicken die Festivalleiter Manfred Metzner und seine kommissarische Kollegin Franziska Schaub auf die Erfolgsgeschichte zurück.

AM: 1994 stand "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" auf den Bestsellerlisten, es war das Todesjahr von Charles Bukowski und Eugène Ionesco. Was waren damals Ihre Themen?

Manfred Metzner: Den Eröffnungsabend haben vier Heidelberger Autorinnen bestritten: Hilde Domin, Elisabeth Alexander, Eva Zeller und Hella Eckert. Das hing damit zusammen, dass wir zur Mit-Finanzierung Gelder vom Land bekommen haben. Das Land wollte einen regionalen Bezug. Wir haben aber von Beginn an entschieden, das Festival international auszurichten und ein Programm zu machen, das sich nicht dem Mainstream unterwirft oder literarischen Moden hinterherläuft.

AM: Wie sind die Heidelberger Literaturtage überhaupt entstanden?

Metzner: Auf der Frankfurter Buchmesse hatte mich 1993 Egbert-Hans Müller, der als Ministerialrat im Kulturministerium für Literatur zuständig war, gefragt, warum in Heidelberg niemand 30.000 Mark haben wolle. Diese Summe stand für die baden-württembergischen Literaturtage zur Verfügung. Für 1994 hatte sich Rottweil beworben, konnte aber die 30.000 Mark nicht aufbringen, die es als veranstaltende Stadt hätte beisteuern müssen. Daher wurde das Geld Heidel­berg angeboten, aber dort wollte man es nicht. Schon lange hatte ich die Idee eines Literaturfestivals, das einer Literaturstadt würdig sein sollte. Ich habe da­raufhin Herrn Rönick senior von der Weiss’schen Buchhandlung angesprochen und den damaligen Kulturbürgermeister Jürgen Beß. Beide waren begeistert und fanden auch die Idee gut, für die Organisation eine Arbeitsgemeinschaft aus Kulturinstitutionen und unabhängigen Verlagen und Buchhandlungen zu bilden.

"Das Spiegelzelt ist für mich ein außergewöhnlicher Ort"

AM: Mit dem Jugendstilzelt haben Sie auf dem Uniplatz einen eigenen Veranstaltungsort geschaffen. Warum?

Metzner: Ich war und bin immer noch der Meinung, dass das Festival eine eigene Präsenz haben muss. Und das Spiegelzelt ist für mich dieser außergewöhnliche Ort für ein Literaturfest.

AM: 2013 gab es an fünf Tagen 15 Programmpunkte. Waren die ­Literaturtage von Anfang an so umfangreich?

Franziska Schaub: 2007 hat das Kulturamt im Rahmen der Literaturtage den Maghrebtag eingeführt. Er findet alle zwei Jahre zusätzlich als fünfter Veranstaltungstag statt und widmet sich einen ganzen Tag lang der maghrebinischen ­Literatur. Er geht auf eine Anregung des algerischen Autors Hamid Skif zurück, der 2005 mit dem Heidelberger Preis "Literatur im Exil" ausgezeichnet wurde.

"Wir achten darauf, dem Publikum Entdeckungen zu ermöglichen"

AM: Wie erklären Sie sich den dauerhaften Erfolg der Literaturtage?

Metzner: Wir haben von Anfang an darauf geachtet, ein Programm der Entdeckungen zu gestalten. Alle in der Arbeitsgemeinschaft sind so gut vernetzt, dass wir aufregende neue Stimmen sehr früh erkennen. Ich glaube, das Geheimnis des Erfolgs liegt darin, dass wir dem Publikum nicht das vorkauen, was gerade in den Feuilletons hochgejubelt wird oder auf den Bestsellerlisten steht. Wir wollen das unterlaufen und haben ein wunderbares Publikum, das unser Konzept honoriert.

Schaub: Bei der Programmfindung kommt es oft zu heftigen Debatten. Es ist nicht so, dass die Arbeitsgruppe sich trifft und jeder sagt, ich habe diesen oder jenen Autor im Kopf und dann wird das abgenickt. Jeder Autor wird intensiv im Gremium diskutiert.

AM: Man staunt ja, wie es einer so heterogenen Gruppe aus privaten und städtischen Einrichtungen gelingt, ein gemeinsames Programm zu beschließen …

Metzner: Das ist ein sehr langwieriger, kreativer Prozess, manchmal geht er nicht ohne Schmerzen ab. Wir müssen ja gemeinsam eine stimmige Programmstruktur finden.

"Die Chemie zwischen Veranstaltern und Autoren muss stimmen"

AM: Nach welchen Kriterien werden die Autoren ausgewählt?

Schaub: Natürlich soll das Programm abwechslungsreich sein. Wir laden daher nach Möglichkeit nicht zehn Autorinnen und Autoren ein, die gerade 30 sind und ihren ersten Roman veröffentlicht haben. Wir versuchen schon, einen Ausgleich zu schaffen, was Themen und Zielgruppen angeht. Entscheidendes Kriterium ist die literarische Qualität …

Metzner: … und die Chemie muss stimmen. In den 20 Jahren hatten wir nur zwei oder drei Autoren, mit denen wir nicht zurechtkamen.

Schaub: Wir legen Wert darauf, dass die Autoren gut ­betreut werden und sich auch die Verleger, Übersetzer und Familienangehörigen, die mitkommen, wohlfühlen. Sie haben die Möglichkeit, zwei oder drei Tage in Heidelberg zu bleiben und die Stadt kennenzulernen. Man reist nicht einfach an, liest und fährt sofort wieder weg.

AM: Welches waren Ihre persönlichen Highlights?

Schaub: Schön fand ich im letzten Jahr die Comic-­Lesung, bei der die Zeichnungen mit einem Beamer an die Wand projiziert wurden. Es war eine neue Idee und kam insbesondere beim studentischen Publikum sehr gut an.

Metzner: Mich hat unter vielen anderen 2009 die Lesung von Verena Roßbacher besonders beeindruckt. Sie hat ihr erstes Buch "Verlangen nach Drachen", einen 400-Seiten-Roman, präsentiert. Das Zelt war voll besetzt und sie zog mit ihren 25 Jahren sofort alle in ihren Bann.

"Eine behutsame Erweiterung ist denkbar"

AM: Frau Schaub, Sie gehören seit diesem Jahr zum Leitungsteam. Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?

Schaub: Im letzten Jahr habe ich als Koordinatorin für die Literaturtage gearbeitet. Jetzt bin ich in der schönen Position, als Mitarbeiterin des Kulturamts das Programm mitgestalten zu können. Ich will dazu beitragen, dass die Vielfalt auf hohem Niveau erhalten bleibt.

AM: Was planen Sie für die Zukunft der Literaturtage?

Metzner: Seit 20 Jahren bespielen wir nur vier oder fünf Tage die Stadt, weil wir der Meinung sind, Konzentration ist wichtig, um das Festival nach wie vor als das ganz besondere Literaturereignis gestalten zu können. Eine behutsame Erweiterung, etwa in Form von Podien zu aktuellen Themen und einem umfangreicheren Kinder- und Jugend-Programm, könnte ich mir gut vorstellen.

Über die Heidelberger Literaturtage

Seit 1994 präsentieren die Heidelberger Literaturtage in jedem Frühsommer ein spannendes und hochkarätiges Programm aus Lesungen, Gesprächen und Diskussionen. Außerdem stellen sich im Spiegelzelt Buchhandlungen, Verlage und Kultureinrichtungen vor. Rund 360 Autoren, Wissenschaftler und Musiker aus mehr als 25 Ländern waren bereits zu Besuch im Zelt. Seit 2006 gibt es eine Schreibwerkstatt für Kinder und seit 2007 alle zwei Jahre einen "Tag der maghrebinischen Literatur". Hier geht es zum vollständigen Programm.

Dieses Interview ist dem Magazin "Die Festivals", einer gemeinsamem Broschüre der Festivalregion Rhein-Neckar entnommen. Das Magazin zu den Festivals und weitere Publikationen zur Metropolregion Rhein-Neckar können hier bestellt werden.

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