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Foto: Sebastian Schmidt © Sebastian Schmidt (EMI)

Hat Kim Wilde ihren 80er-Synthie-Pop gegen Rockgitarren und Gieskanne ausgetauscht? Vom Kid in Amerika zur Gartenbuchautorin und zurück? Diesen Fragen und mehr wollte Jan Zipperer auf die Spur kommen und traf Kim Wilde in einem knallroten Tourbus.

Früher in den 80ern, als ich noch klein und unverdorben war, da trafen wir uns im Sommer immer im örtlichen Freibad. Entweder standen wir am Fünf-Meter-Turm und schubsten uns gegenseitig ins Wasser, oder wir bräunten unsere unbehaarten Körper in der Sonne und hörten dazu Musik aus einem Mono-Kassettenplayer. Dieser verfügte über einen praktischen Tragegriff und hatte riesige Bedientasten, die – wenn sie nicht herausgebrochen waren – mit der ganzen Muskelkraft eines Zwölfjährigen zum Einrasten gebracht werden mussten. Die Musik hatten wir selbst vom Radio aufgenommen und natürlich waren da immer wieder die Hits von Kim Wilde mit dabei. Einer meiner damaligen Kumpels hatte so ein großes Badehandtuch von der – ich glaube damals besonders bei älteren Frauen – recht angesagten Zigarettenmarke "kim". Da wir aber vom Rauchen und vielen anderen Sachen noch keine Ahnung hatten, hielten wir den Besitzer des "kim"-Handtuchs einfach für einen großen Fan von Kim Wilde. Heute würde ich denken: seine Mutter war eine starke Raucherin. Aber Kim Wilde-Fans, das waren wir natürlich alle irgendwie.

Mehr als 20 Jahre später sitze ich in einem knallroten Tourbus auf ebenso roten Ledersitzen und mir gegenüber wartet eine völlig relaxte und sehr sympathische Kim Wilde, bis ich mein digitales Aufnahmegerät, kaum größer als ein Trageriff und mit leicht bedienbaren Tasten, endlich in den Recording-Modus geschaltet habe. Geschafft! Es kann losgehen, erste Frage, erst mal was zum auflockern, gucken wie sie so drauf ist:

Jan: Beschreib doch mal Deine aktuelle Tour, was gibt es da zu sehen und zu erwarten?

Kim Wilde: Das gute ist, die Konzerte bei dieser Tour sind wirklich klein, das ist dann sehr intim. Ich kann alle Gesichter sehen und habe viel Kontakt mit den Fans. Und das ist mir sehr wichtig, diese Intimität, nicht so wie bei großen Festivals. Auch die Musik ist genau so, wie ich sie haben will. Sehr rock-orientiert. Wir haben die alten Sachen ein bisschen umgeschrieben, so dass sie zeitgemäßer klingen. Nicht mehr ganz so viele Synthies, dafür mehr Gitarren. Richtige Rockgitarren.

Richtige Rockgitarren? Wie sich später beim Konzert dann herausstellen sollte, gibt es doch unterschiedliche Definitionen von einer richtigen Rockgitarre, aber die von ihr angesprochene Intimität wird vom ersten Ton an deutlich. Immer wieder wird sie fast minutenlang einzelne Fans an die Hand nehmen, sie anlächeln, kleine Geschenke bekommen und dabei mit voller Überzeugung, aber auch einer netten Art von Leichtigkeit, die alten Hits über die große Anlage ins Publikum pusten. Kommen wir aber noch mal zu den Gitarren: Richtige Rockgitarren, wieso das denn?

Because I love them! Ich hatte damals zu Uwe Fahrenkrog Petersen (der Produzent von Nena  hat auch mit Kim Wilde gearbeitet) gesagt, dass ich unbedingt mehr Rock auf der Platte haben will. Das soll alles sehr heavy werden mit vielen elektrischen Gitarren, laute Gitarren! Das kommt vielleicht ja auch daher, dass ich aus einer großen Rock-Tradition komme. Mein Dad war ein Rockstar! Ich mag eben Musik, die zurück zur Basis geht. Und das ist Rock für mich.

Ich überlege kurz, wie gut mir der Satz "Mein Dad war ein Rockstar" gefällt, wohlwissend, dass Marty Wilde in den 50ern tatsächlich ein gefeierter Rockstar war. Da fallen mir zwei andere ein, die auch gerne mit richtigen Rockgitarren arbeiten und mich immer schon irgendwie an Kim Wilde erinnerten: Pink und Avril Lavinge. Was hält die heute 47jährige und Mutter von 2 Kindern denn von den aktuellen weiblichen Superstars?

Pink und Avril finde ich natürlich sehr gut. Die machen doch genau das Gleiche, auf ihre völlig eigene Art natürlich. Aber gerade bei denen geht’s auch zurück zu den Wurzeln, ihre Musik ist auch sehr an Rock orientiert. Ich hab zwar jetzt keine Ahnung, ob die mich kennen, oder schon mal meine Musik gehört haben –

Hallo!? Natürlich kennen die Dich!

– (lacht), naja, die erinnern mich schon ein bisschen auch an mich, das stimmt. Also, an mich vor 25 Jahren.

Gefällt dir das?

Ja klar, es erinnert mich an eine gute Zeit! Stell dir vor, ich war damals 20 und das ist schon fantastisch, wenn man so jung schon richtig erfolgreich war.

Du bist ja heute auch noch ganz gut dabei, oder?

Ja, auch das finde ich sehr gut. Ich bin kein Mensch, der immer sagt "Früher war alles besser". Ich sehne mich nicht nach den alten Zeiten zurück. Ich weiß, dass ich älter geworden bin, aber ich hab damit überhaupt kein Problem.

Optisch erweckt sie auch nicht den Eindruck, damit ein Problem haben zu müssen. Ich denke, mir sitzt eine glückliche 47jährige Sängerin gegenüber, die mit ihrer Band und ihrem ganzen Tourkoloss eine richtig gute Zeit hat. Zumindest die Besucherzahlen in Karlsruhe lassen keine Wünsche offen. Schon lange vor Konzertbeginn stehen einige Fans – die männlichen auch gerne mal mit einem Oberlippenbart – vor dem Tollhaus und rufen unermüdlich ihren Namen. Welche Musik hört die private Kim Wilde denn heute so?

Ich würde am liebsten viel mehr Musik hören, aber ich komme einfach nicht dazu. In Berlin war ich vor kurzem auf einem Konzert von Rufus Wainwright. Den höre ich wirklich gerne. Auch wenn er mit meiner eigenen Musik nicht besonders viel zu tun hat. Aber das ist auch irgendwie typisch für mich. Ich steh auch auf richtig harten Sound. Metallica zum Beispiel, AC/DC oder auch Charlotte Hatherly. Die war ja auch auf meinem Album mit dabei, ihre aktuelle Platte ist der Hammer. Natürlich hören wir auch im Bus immer Musik, da laufen dann die verrücktesten Sachen, z.B. Spearhead oder Scritti Politti. Das gefällt mir auch alles sehr gut. Ich glaube ich habe einen sehr breit gefächerten Musikgeschmack.

Das sind sie wieder, die richtigen Rockgitarren, bei Metallica und AC/DC. Zugegeben, mir gefällt die Antwort. Kim Wilde scheint sich auch bei ihrem Musikgeschmack absolut sicher zu sein. Mich interessiert, wie sie denn die aktuelle Situation der Musikindustrie wahrnimmt. Immerhin, Kids in America erschien damals noch als Vinyl-Single, wenig später kam die CD und heute hören wir Musik mit unserem Handy – damals unvorstellbar.

Das ist alles schon ziemlich verrückt und erstaunlich, was in den letzten Jahren passiert ist. Ich weiß noch, als die CD damals entwickelt wurde, da haben alle gesagt, das wäre eine tolle Sache: toller Sound, total unempfindlich und trotzdem springen die Dinger immer und keiner weiß, wie lange so eine CD überhaupt noch hält. Und jetzt haben wir diese tolle neue Art Musik ganz spontan runterzuladen und uns unsere eigenen Alben zusammenzustellen. Ich mag diese Entwicklung eigentlich sehr. Ich glaube auch, dass das für die Musik an sich sehr gut ist. Nur eben die Musikindustrie, die hat damit ein Problem und muss jetzt lernen, sich zu verändern. Aber so ist das ja auch bei anderen großen Unternehmen, egal was sie herstellen, es wird immer wieder Veränderungen geben und da muss man eben durch und sich den neuen Gegebenheiten anpassen, um weiterhin seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber die Musik an sich, die kann von dieser Entwicklung nur profitieren und das ist für mich das Wichtigste. Music will be the winner!

Wie findest Du denn die Idee von Radiohead, ohne Label eine Platte im Internet anzubieten?

Genau so läuft das eben! Das ist doch fantastisch für eine Band, jetzt endlich ihren eigenen Weg zu gehen. Schau dir die Plattenfirmen doch an, die werden immer gierig sein, solche Entwicklungen kommen nicht ohne Grund. Leute die dadurch ihren Job verlieren, tun mir zwar leid, aber wie schon gesagt: für die Musik an sich ist das was Gutes.

Nach der Sache mit den Gitarren packt sie jetzt also noch praktisches BWLer-Wissen aus und demonstriert ihr Kenntnisse vom Produktlebenszyklus. Den hat sie ja auch am eigenen Leib erfahren, denn nach der Sättigung folgte in den 90ern dann der Rückgang, die Degeneration. Ihr neues Geschäftsmodell: Gartenarbeit! Sie moderierte im englischen TV, schrieb zahlreiche Artikel und sogar ein Buch. Immer über Landschaftsgärtnerei. Worauf blickt sie auf diese Jahre aus heutiger Sicht dann voller Freude zurück?

Also, ganz besonders gefreut habe ich mich über eine Medaille, die ich bekommen habe, als ich für die Chelsea Flower Show mal einen Garten gestalten durfte. Ist zwar schon ein paar Jahre her, aber darauf bin ich wirklich superstolz. Natürlich bin ich als Mutter auch stolz auf meine Familie, aber ich glaube das ist ja bei jeder Mutter so, das sagen sie alle. Und ich denke, ich kann auch sagen, dass ich meine Karriere ganz gut finde. Dass nach so vielen Jahren immer noch Leute kommen, um ein Konzert von mir zu sehen, dafür bin ich sehr dankbar und genieße das wirklich sehr.

Das anschließende Konzert begeistert zwar die anwesenden Fans, doch leider überrascht es nicht in der erhofften Weise. Von den Rockgitarren ist leider nur wenig zu hören. Eher erinnert die Performance an einen Auftritt in der damaligen ZDF Quizsendung "Die Pyramide", nur ohne Trockeneis.

Auch wenn der Bassist Nick Beggs einst bei Kajagoogoo mit dabei war und die Spiegelsonnenbrille des Keyboarders ebenfalls aus der Zeit des Haarsprays und der Neon-Jacken stammen, ein bisschen mehr 2007 hätte da schon dabei sein können. Die Stimme, die Hits und die Tatsache, dass Kim Wilde da eben vor einem auf der Bühne stand, retten den Abend aber dann doch. Ich hätte jetzt Lust endlich mal eine dieser "kim"-Zigaretten zu probieren.

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