The Charcoal Sunset

The Charcoal Sunset © TransmissionTour

The Charcoal Sunset debütieren mit einem zeitlosen Album, das sich zwischen Rock, Folk und Americana ansiedelt. Euphorisch-zeitlose Melodien und tiefsinnige Texte überzeugen mit einem stilsicheren Sound, der sich vom derzeitigen Indie-Massenspektrum absetzt. So wundert es nicht, dass sie bereits als Supportact für Bands wie The Avett Brothers oder Chikinki gebucht wurden. Im Interview mit regioactive.de sprach die Band über ihr Debütalbum, die Bedeutung von Nostalgie in der Musik und vieles mehr.

{image}regioactive.de: Wie habt ihr euch kennen gelernt?

Zip: In einer Kneipe und über die Musik, die wir bevorzugt gehört haben. Ich habe damals in dieser Kneipe gearbeitet und Marlowe später auch.

Marlowe: Ich fing dort als Koch an und fand schnell heraus, dass Zip ein stadtbekannter Bassist ist. Juri lernte ich in der gleichen Bar über einen Freund kennen.

Norman: In dieser Kneipe hörten wir vorwiegend Blues.

Wie ist euer Bandname entstanden?

Juri: Der ist mir im Traum erschienen (lacht). Es ist einfach nur eine Metapher oder ein Bild, das bei den Leuten etwas auslösen soll.

{image}Was löst es bei dir aus?

Norman: Die Vernichtung.

Juri (lacht): Es ist ein Kontrast: Wie Tag und Nacht oder Yin und Yang. Es sind die Gegensätze, die zusammen ein Bild oder eine Farbe oder eine Stimmung ergeben.

Zip: Diese Stimmung passt auf jeden Fall zu unserer Musik.

Eure Musik ist mit Folk oder Americana, wie es Wilco oder Bruce Springsteen machen, vergleichbar. Wie beschreibt ihr eure Musik?

Juri: Eigentlich gar nicht. Wir machen ja Musik, damit wir sie eben nicht beschreiben müssen. Sonst würden wir wohl Literaten sein.

Ich empfinde eure Musik als nostalgisch. Inwieweit seid ihr Nostalgiker oder sentimentale Personen?

Norman: Jeder, der in der Musik verwurzelt ist, hat Nostalgie im Herzen. Ohne geht es nicht. Speziell Folkmusik reflektiert den Puls der Zeit. Ihr bezeichnet unsere Musik als Folk, obwohl es für uns vielleicht gar kein Folk ist und dennoch Folk sein kann.

Juri: Ich denke, dass jede Art von Musik in sich etwas Nostalgisches trägt. Immer, wenn du Musik hörst, die dir gefällt, verbindest du diese mit Erinnerungen und Bildern. Und vor allem als Rockband beruft man sich auf Leute, die schon einmal da waren. Das war immer so und wird sich auch nicht ändern. Selbst Musiker wie Woody Guthrie oder Hank Williams beriefen sich auf Musiker vor ihnen. Von daher ist Musik per se nostalgisch.

Einer eurer Song heißt Glenn Gould, wie der kanadische Pianist. Auf welche Weise wurdet ihr durch ihn beeinflusst?

Zip: Den Song hat Marlowe geschrieben.

Marlowe: Stimmt. Als ich den Text zu dem Song schrieb, ging es mir weniger um den Pianisten, als um die Figur und ihre extravagante Art der Darstellung. Gould ist für mich eine symbolische Figur der Ablehnung einer Zeit und Gesellschaft, der er sich selbst nicht fügen konnte. Und ebenso spiegelt die Nostalgie in unserer Musik etwas Ablehnendes wider. Man kann als Band viele Dinge ablehnen, ohne sofort eine politische Band sein zu müssen.

Was lehnt die Nostalgie ab? Was lehnt ihr ab?

Marlowe: Die Nostalgie lehnt die Gegenwart und den Fortschritt ab. Besonders in der Folkmusik wird sich auf Tradition berufen, was zugegebenermaßen auch eine politische Dimension hat.

Zip: Ich würde uns allerdings nicht als konservativ bezeichnen.

Sondern?

Zip: Das ist ein interessanter Punkt. Obwohl wir nostalgische Musik machen, sind wir sicher nicht altmodisch. Ich hänge nicht dem Gestern nach.

Marlowe: Vielleicht ist es das Prinzip des Außenstehenden oder gar des Außenseiters, der man ja als Künstler immer ist. Man versucht sich außerhalb der Gesellschaft zu positionieren. So befinden auch wir uns in dieser Position, sowohl gedanklich als auch mit unserem Schaffen. Künstler wollen Dinge erfahren, die der normale Mensch nicht erfahren kann, da er nicht die Möglichkeit und Freiheit dazu hat.

Juri: Man muss als Künstler an Orte gehen, an die andere nicht gehen können, da sie fester an Konventionen gebunden sind. Deshalb versuchen wir Konventionen, soweit es geht, aufzusprengen, um den Menschen diese vermeintlichen Zwänge zu zeigen und eine Geschichte erzählen zu können. Anders ist man als Künstler nicht relevant.

Marlowe: Ich glaube, das Publikum sucht wieder die Konfrontation mit der Entschleunigung. Sie brauchen einen Gegenpol zum derzeitigen Zeitgeist.

{image}Ihr wart mit Chikinki auf Tour. Wie war das?

Marlowe: Dort war ein komplett anderes Publikum.

Zip: Dennoch hat es gut funktioniert, obwohl ich anfangs skeptisch war.

Juri: Die Leute sind mittlerweile musikalisch nicht mehr so festgefahren. Gerade das Chikinki-Publikum ist sehr offen für verschiedene Formen der Musik.

Ed East von Chikinki hat auch euer Album produziert. Wie hat er euch geholfen? Oder welchen Einfluss hat er auf euch ausgeübt?

Juri: Zum einen durch den Ort – dem Studio East – wo wir aufgenommen haben. Das Studio East befindet sich in einem alten Funkhaus in Köpenick mit einem 50er-Jahre-DDR-Interieur. Du fühlst dort die Schwingungen der Vergangenheit und vergangener Produktionen. Dies allein wie auch Ed Easts Art mit uns umzugehen, uns zu fördern, hat uns beeinflusst.

Zip: Jedes Mal, wenn wir ein Tape eingespielt haben, kam keine Reaktion. Also haben wir es so oft wiederholt, bis es Ed East schließlich kommentierte und wir sicher sein konnten, dass das Ergebnis nun gut war.

Marlowe: Vor allem ist er aber auch selbst Musiker und kennt die Studiosituation, weiß mit Druck umzugehen und hat uns großen Freiraum gelassen.

Im Video zu Glenn Gould fahrt ihr in einem Auto durch Berlin, lasst verschiedene Räume hinter euch. Das hat auch den Geschmack eines Roadmovies.

Zip: Zumindest innerstädtisch. Es geht hierbei um Einsamkeit, die sich nachts in einer winterlichen Großstadt perfekt darstellen lässt.

Der Song handelt auch vom Zuhause, sowohl vom Verlieren des Zuhauses als auch von dem nach Hause kommen. Was bedeutet zu Hause für euch?

Juri: Meistens ist es der Tourbus. Zu Hause ist für mich aber generell da, wo die Menschen sind, die ich liebe und die mich lieben.

Norman: Wenn man als Musiker behaupten kann, frei zu sein, entsteht für einen die Möglichkeit mehrere Zuhause zu haben. So ist man glücklich, sich jedem einzelnen hinzugeben.

Zip: Jedes Mal, wenn ich von einer Tour zurückkehre, wird mir klar, dass zu Hause noch unbezahlte Rechnungen liegen. Wenn ich aber in den Tourbus steige, fallen all diese Lasten von mir ab. Und dann fühle ich mich zu Hause.

Dann stellt sich direkt die Frage, ob ihr lieber aufnehmt oder live spielt.

Zip: Wir finden beides cool. Im Studio entwickeln sich zum Beispiel die Songs oft anders als erwartet.

Norman (unterbricht): Live ist das manchmal auch der Fall.

Juri: Genauso wie im Tourbus bist du im Studio in deinem eigenen Kosmos. Du bist in einem abgeschlossenen Raum, kannst an deinen Songs arbeiten und auf einmal kommt es auf nichts anderes mehr an.

Zip: Während der Studioaufnahmen muss ich manchmal einen Tag zwischendurch arbeiten. Das funktioniert bloß nie, weil man einfach nicht anwesend ist. Beim Touren ist es noch extremer. Wenn man nach einer Tour zurückkommt, braucht man erst mal ein paar Tage, bis das normale Leben wieder Realität wird. Das ist einfach eine völlig andere Welt und mir wäre es lieber, wenn ich nur in dieser Welt leben könnte.

{image}Welche Songs spielt ihr besonders gerne live, welche sind eure Favoriten?

Norman: Die Möglichkeit der musikalischen Umsetzung im Studio fand unter anderen Gesetzmäßigkeiten statt. Wir hatten die Möglichkeit mit anderen Musikern aufzunehmen, was im Konzert nicht immer gegeben ist. Dann einigt man sich eben auf die Songs, die live funktionieren und ein gutes Gefühl ausstrahlen.

Welche Songs sind das dann speziell?

Zip: Auf der Platte war es für mich The White Lie, der sich anders entwickelte, als ich es erwartet hatte.

Inwiefern?

Zip: Als ich erstmals die fertige Aufnahme hörte, fand ich den Song einfach nur geil. Aber die kleinen Details des Liedes sind mir vorher nie richtig aufgefallen. Live ist der Song allerdings schwierig.

Norman: Man muss für den Song aber auch in der richtigen Stimmung sein, sowohl wenn man ihn anhört als auch wenn man ihn spielt.

Was ist das für eine Stimmung?

Norman: Wenn wir diesen Song spielen, sind wir auf einer anderen Ebene. So sehr, dass wir dem Publikum mehr geben, als wir bekommen. Das ist kein Lied, das man spielt, damit die Leute mitsingen, sondern um zu erleben, wie der Song wirkt. Was nicht immer funktioniert.

Zip: Das ist eine Art Song, die wir nur live spielen können, wenn wir von Geige und Klavier begleitet werden und wenn wir längere Konzerte geben. Dann ist es leichter solche Lieder zu integrieren, als wenn wir nur Vorband sind. Bei einem längeren Set kann man auch mal ganz ruhig werden.

In dem Song Better View wird Liebeskummer durch Alkohol und Drogen unterdrückt. Welche Erfahrungen habt ihr damit gemacht?

Juri: Mit Alkohol habe ich bisher nur gute Erfahrungen gemacht. Das heißt, Alkohol kann durchaus inspirierend wirken; auch eine verkaterte Stimmung kann inspirieren.

Und härtere Drogen?

Juri: Muss ich dazu mehr sagen?

Norman: Es wurden nicht grundlos so viele Songs über Alkohol geschrieben. Aber wir sind keine Band, die ihren kompletten Sound versäuft. Wir trinken sicherlich auch mal ein Bier vor Auftritten. Das kann durchaus entspannen und wir arbeiten ja nicht in einer Sparkasse. Und dennoch darf man nicht vergessen, worum es geht. Die Musik. Wir sind eine Band, die meist gut drauf ist und Alkohol spielt dabei keine übergeordnete Rolle.

Juri: Bands, die ihren Sound versaufen, werden sich auch nicht mehr weiter entwickeln.

Zip: Musik ist für uns kein Hobby, um nebenberuflich auszubrechen. Partys sind sicher angenehm, aber bedeuten uns nicht mehr als den netten Nebeneffekt. Wir wollen großartige Songs schreiben und großartige Konzerte geben.

Was waren eure extremsten Erfahrungen mit Alkohol?

Zip: Ich war mit vergangenen Bands schon richtig besoffen auf der Bühne, aber gebracht hat das am Ende nichts. Im Gegenteil – auf Tour ist man nach drei Tagen einfach durch.

{image}Ein Song heißt Phantome. Was ist euer persönlicher Geist?

Norman: Ketzerei.

Juri: Eine bestimmte Art der Freiheit. Die Freiheit, ein Leben zu leben, das ich mir selbst aussuche. Das ermöglicht mir die Musik. Dieses Gefühl, das du hast, wenn du auf einer großen Bühne stehst und ein Song funktioniert richtig gut. Plötzlich hörst du auf nachzudenken, weil die Band einfach nur spielt. Oder das Gefühl, das man hat, wenn man einen neuen Song geschrieben hat und man ihn zum ersten Mal zusammen spielt. Das sind die Momente, für die man als Musiker lebt.

Zip: Ich spielte in einer Band, die eine sechswöchige Tour plante. Mit einem normalen Job nebenher ist das unmöglich. Also versuchte ich zehn Jahre vorauszudenken und fragte mich, woran ich mich lieber zurückerinnern würde. Den normalen Job oder an sechs Wochen Spanien/Italien mit einem Haufen Wahnsinniger? Also fuhren wir auf Tour.

Norman: Er war Postbote.

Was würdet ihr nie tun?

Zip: Aufhören, Musik zu machen. Ich habe mein ganzes Leben darauf aufgebaut. Ich habe keinen sicheren Job, keine Familie; es wäre also bescheuert, mit der Musik aufzuhören.

Norman: Ich würde mir niemals den Funken der Vision, mit Musik noch etwas vorzuhaben, nehmen lassen. Ich behalte mir vor, das nur selbst zu dürfen.

Was ist euer momentaner Tagtraum?

Zip: Von der Musik leben können.

Norman: Wir haben eigentlich keine Tagträume. Unser Alltag ist zumeist ziemlich ernüchternd. In unserem Studio sind die Wände aufgerissen worden, weil es hineinregnet; ein Rechner ist explodiert. Weil es in dieser Stadt nur regnet.

Wenn ihr ein Mixtape zusammenstellen müsstet, welche Bands wären darauf?

Norman: Ich weiß, welche Band definitiv nicht drauf wäre. Abba.

Juri: Die Hidden Cameras.

Zip: Die letzte Platte von den Kills. Und die Black Keys.

Marlowe: Bei mir wäre es momentan Anna Calvi. Sie hat mich ziemlich geflasht, so sehr, dass ich langsam anfange eine männliche Version von ihr zu werden.

Norman: Ich füge noch Madrugada hinzu.

Zip: Sie sind so atmosphärisch und schaffen es, Bilder zu vermitteln.

Dann vielen Dank für dieses Interview!

The Charcoal Sunset – Glenn Gould

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