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Philipp Poisel (live in Mannheim, 2011) © René Peschel

Was passiert, wenn man sich nicht vorbereitet, musste unser Autor beim Konzert von Philipp Poisel erleben: Aus einem entspannten Abend mit ruhiger Kugel dank drei Singer-Songwritern wurde nichts - dafür war die Musik viel zu gut. Dabei überzeugte nicht nur Poisel selbst, sondern auch die beiden Künstler im Vorpogramm. Kein Wunder, beide arbeiten ja auch sonst mit ihm zusammen.

Die Alte Feuerwache in Mannheim ist an diesem Abend, wie viele andere Termine der "Bis nach Toulouse"-Tour 2011 teilweise sogar schon seit Monaten, ausverkauft. Philipp Poisel begeistert Deutschland, wenn man das mal so verallgemeinernd sagen kann, und unser Autor erwartet für den Abend trotz rappelvoller Bude doch eine eher beschauliche und gemächliche Atmosphäre, schließlich sind drei Singer-Songwriter für den Abend angekündigt: Neben Poisel treten noch Alin Coen und Florian Ostertag auf.

Im Nachhinein soll sich diese Annahme als falsch herausstellen, denn ganz für einen gemächlichen Abend fängt das Konzert viel zu pünktlich an: Florian Ostertag steht beinahe auf die Sekunde genau um 8 Uhr abends auf der Bühne. Bei drei Künstlern muss man sich aber auch an den Zeitplan halten.

Ostertag und Band(gerät)

Ostertag, ansonsten noch Pianist in Philipp Poisels Band, kommt allein auf die Bühne, hat sich aber technische Unterstützung in Form eines Bandgeräts mitgebracht. Darauf ist eine Schlagzeugspur aufgezeichnet, die ihn beim Song "I Don't Know What To Say" unterstützt. Lassen andere Künstler ihr Halbplayback verstohlen und ganz geheim aus den Boxen rieseln, zeigt Florian Ostertag es ganz offen und macht aus der ganzen Sache dadurch ein kleines Ereignis – im Nachhinein ein nettes Gimmick. Alle Songs, die er spielt, stammen von seinem aktuellen Album "The Constant Search", von dem es am Verkaufsstand auch handgebastelte Versionen zu kaufen gibt: Wie dieses Video, das mit seinem Song "Home" unterlegt ist, eindrucksvoll zeigt, hat er hunderte, wenn nicht sogar tausende oder mehr Hüllen in mühevoller Handarbeit genäht. Allein deshalb muss man eigentlich schon eine Kaufempfehlung aussprechen. Oder um seine Mama zu unterstützen, die sonst umsonst mitgeholfen hätte. Wer will das schon?

Zurück zur Musik: Das eben angesprochene "Home", letzter Track auf "The Constant Search", wird wie bei KT Tunstalls berühmten "Black Horse and the Cherry Tree" mit Loop-Pedalen aufgeführt. Dabei nimmt Florian Ostertag mehrere Songelemente live auf der Bühne auf, um sie dann zur passenden Zeit wieder per Fußpedal abspielen zu können. Zusätzlich entfremdet er auch eine gute alte Schreibmaschine, die er auf dem Dachboden seiner Eltern gefunden hat, als Taktgeber. Dass der Song selbst sich dabei in die Gehörgänge frisst ist schon fast klar. Wer das live erleben will, sollte entweder Ostertag auf dem nächsten Konzert von Philipp Poisel sehen oder einen Termin seiner eigenen Tournee besuchen, die im April stattfindet.

Alin Coen lässt nichts anbrennen

Zweite Künstlerin an diesem Abend ist die für regioactive.de nicht so ganz unbekannte Alin Coen, die an diesem Abend ohne ihre Band auf der Bühne steht. Nur mit ihrer Gitarre stellt sie nach kurzer Umbauzeit Songs aus dem aktuellen Album der Alin Coen Band, das Ende August erschienene "Wer bist du?", vor. Dabei funktionieren Titel wie "Halo", die Singleauskopplung "Wolken" oder der Favorit des Autors "Das letzte Lied" auch ohne Band und zeigen Coens Talent, wunderbare Songtexte zu schreiben. Stimmlich lässt sie auch nichts anbrennen, man verliert sich schnell in den Songs der Weimarerin. Kein Wunder, dass Philipp Poisel mit ihr, nachdem sie bereits 2009 als Special Guest mit ihm auf Tour war, das Duett "Hab keine Angst" aufnahm. Kurz und Knapp: Nach Alin Coens Auftritt kann man sich, ähnlich wie bei Florian Ostertag, eigentlich nur auf die kommende Tournee freuen, bei der die Alin Coen Band ab März als Hauptact durch zahlreiche deutsche Städte touren wird.

Ruhig und beschaulich

Wieder relativ kurze Umbaupause und ehe man sich versieht, stimmt Philipp Poisels Band ein Lied an. Nach den ersten Tönen von "Für keine Kohle dieser Welt" kommt auch Poisel selbst auf die Bühne. Das Publikum, das übrigens wohl hauptsächlich weiblich, ansonsten aber vom Alter und sonstigen Sachen her erstaunlich gut durchmischt ist, begrüßt den Stuttgarter laut. Schnell wird es aber wieder ruhig, schließlich ist "Für keine Kohle dieser Welt" auch eher ruhig.

Im weiteren Verlauf des Abends wird das auch so bleiben, öfters werden zu laute Unterhaltungen mit einem rigorosen "Schhhh" von anderen Zuhörern abgewürgt.  Zugegeben, schon auf Album muss einem solche Musik gefallen – Poisel erfindet das Rad nicht neu, sondern ist durchweg ruhig, melancholisch und manchmal vielleicht sogar etwas schnulzig. Live hingegen wird durch die Band aber nochmal einiges aus den Songs herausgeholt, unser Autor kann sich immer wieder über kleine Soundideen freuen. Und der Kontrabass ist sowieso wunderbar. Vielleicht hat sich die Band teilweise gelangweilt (der Drummer bestimmt), aber das macht ja nichts.

Neu und Alt

Poisel, an dem Abend leider auch etwas krank, erzählt zwischen den Songs kleine Geschichten und Anekdoten. Dabei vor allem zu den neuen Songs, die den Schwerpunkt bilden. Garniert wird das Ganze von einigen "Klassikern" aus Philipp Poisels letztem Album "Wo fängt dein Himmel an?". Auch die beiden Singles "Zünde alle Feuer", zu dem Poisels Gitarre eine Wunderkerze spendiert bekommt, und "Wie soll ein Mensch das ertragen" müssen und sollen auch sein.

Für "Hab keine Angst" ("Ich wollte schon immer ein Schlaflied schreiben") kommt Alin Coen zurück auf die Bühne. Der Song verliert live vor einigen hundert Menschen nichts, der Refrain und die – passend zum Thema Schlaflied – dezente Instrumentierung überzeugen. Mehrmals gehen Philipp Poisel und seine Band schließlich am Ende von der Bühne und kehren doch wieder zurück, um noch einige weitere Lieder zu spielen.

Das Konzert überschreitet deutlich die 23 Uhr-Marke, das letzte Lied "Herr Reimer" bekommen daher leider auch nicht mehr alle mit, aber nach fast vier Stunden Musik und vor allem Stehen ist man verständlicherweise auch geschafft. Vielleicht sind sie es aber auch, weil kurz davor bei "Ich will nur" die gesamte Halle mitsingt: "Ich will nur/dass du weißt/ich hab dich immer noch lieb/und dass es/am Ende/auch keine andere gibt". Sehr schön.