Stimmung beim Reeperbahn Festival 2016 Fotostrecke starten

Stimmung beim Reeperbahn Festival 2016 © Falk Simon

Das Reeperbahn Festival stellt vor Herausforderungen. Mehr als bei anderen Großveranstaltungen liegt in der Hand des Besuchers, welche Prioritäten er setzt, welche Veranstaltungen er besucht und letztlich, welches Festival er erlebt.

Dafür sorgt schon die ungeheure Menge an Veranstaltungen beim Reeperbahn Festival. Sie macht es unmöglich, mehr als nur einen kleinen Teil beim Festival spielenden Bands und Solokünstler live zu erleben. 

Zu den hunderten Konzerten kommt noch eine Konferenz hinzu, die kaum weniger umfangreich ist und Panels vom frühen Morgen bis zum Abend zu allen erdenklichen Themen des Musikgeschäfts bietet.

Locations, locations, locations

Ebenso vielseitig sind die Orte, an denen das Programm stattfindet. Selbst eingefleischte Einheimische entdecken neue Locations oder erleben vertraute Orte von einer anderen Seite. Wer das Konzert von Sophia im ehrwürdigen Michel besucht, versteht, warum Festivalleiter Alexander Schulz die Kirche unbedingt als Spielort gewinnen wollte. Die Kombination von barocker Pracht und den traurigen, sparsamen, aber intensiven Songs von Robin Proper-Sheppard funktioniert hervorragend.

Ganz andere Erfahrungen macht, wer sich ins hitzige Docks begibt. Bei besonders begehrten Konzerten wie dem kurzfristig angekündigten Auftritt von Biffy Clyro gleicht der Club einer Sauna. In Erwartung dieser Lage, hat die Band sich vorausschauend ihrer Shirts entledigt. Wer die Gelegenheit nutzt, zum physischen Rockspektakel richtig abzugehen, betritt anschließend komplett durchnässt die kühle Hamburger Nacht. Schade nur, dass der Gesang so gar nicht verständlich ist.

Schweißtreibende Konzerte

Abgesehen von solchen Highlights, bei denen man frühzeitig vor Ort sein muss, hält sich die Wartezeit vor den Clubs trotz des großen Besucheransturms von 38.000 Zuschauern in vier Tagen meistens in Grenzen. Es sei denn natürlich, man will ins Molotow, dem legendären Club an der Reeperbahn, gestorben und kurze Zeit später in der Nähe wieder auferstanden. Trotz großzügigen Innenhofs sind die kleinen Konzerträume dermaßen überfüllt, dass ein Durchkommen kaum möglich ist.

Manche Bands brauchen aber auch die schweißtreibende Enge. Der energiereiche Rock’n’Roll von Oum Shatt (ein unglücklich gewählter Name) passt ganz hervorragend in die kleine Prinzenbar. Andere Bands übertreiben es mit der Lautstärke. Bei der belgischen Band Warhaus im Uebel&Gefährlich geht ihr eigentlich differenzierter Sound mitsamt der Pop-Elemente komplett im Dröhnen des Basses unter.

Americana für Kenner

Wunderbar arrangiert hat hingegen der Alternative-Country-Sänger Sturgill Simpson seine Show im Knust. Ausgestattet mit voller Band samt Bläsern entfalten seine Lieder durch die Fülle der Klangfarben ihre ganze Schönheit und mildern den heftigen Südstaaten-Twang des US-Amerikaners aus Kentucky.

Wer sich für Americana-Klänge interessiert, ist auch in der St. Pauli-Kirche richtig. An den Wänden hängen prächtige Gemälde für verdiente Prediger der Vergangenheit, auf der Bühne spielt die junge niederländische Band Black Oak, die in ihren besten Momenten an die Fleet Foxes erinnert. Fast ganz zum Ende des Festivals tritt noch Laura Gibson mit ihrem ebenfalls schön arrangierten Americana auf. Dazu gibt es dort die günstigsten Getränkepreise des gesamten Festivals.

Die Suche nach dem eigenen Stil

Der Vielfalt der musikalischen Erlebnisse wird auch in der Qualität der Performances sichtbar. Manche jungen Bands müssen trotz vielversprechender Ansätze ihren Sound erst noch finden wie Blossoms, die vollmundig ankündigen, die nächsten The Smiths werden zu wollen, aber sich offensichtlich noch nicht zwischen 60s- und 80s-Sound entschieden haben.

Die österreichische Band Inner Tongue hingegen hat einige starke Songs, aber auch etwas Leerlauf, so dass klar wird, dass mehr Feinarbeit nötig ist. Eine schöne Überraschung ist am letzten Tag des Festivals die englische Sängerin Jones, die die richtige Balance zwischen Pop und Soul findet: ihre Stimme ist angenehm, aber ausdrucksstark, ihre Band leidenschaftlich, aber präzise.

Junge deutsche Musik

Natürlich spielen auch zahlreiche deutsche Musiker wie Drangsal im Mojo. Der junge deutsche Sänger hat mit technischen Problemen zu kämpfen, ist von einer Grippe geschwächt und zeigt dennoch, dass er über Bühnenpräsenz und ein künstlerisches Konzept verfügt, das sich eng an den 80s-Sound von Bands wie The Cure anlehnt. Nur etwas Gelassenheit sollte er sich angewöhnen. Es ist jedenfalls keine gute Idee, seinen Unmut über Techniker bei einem Festival zu äußern, das von Bookern nur so überquillt.

Im Gegensatz dazu sorgt Rapper Maeckes mit coolen Moves und originellen Texten für gute Laune beim Publikum in der Großen Freiheit 36. Der Dank: gute Stimmung und jede Menge wippende Hände.

Ein besonderes Festival

Die musikalische Vielfalt des Reeperbahn Festivals abzubilden, ist eine Unmöglichkeit. Jeder Bericht bildet nur ein Fragment eines weit größeren Bildes ab.

Welchen Teil man davon in Augenschein nimmt, hängt von den musikalischen Vorlieben, der verfügbaren Zeit und schließlich auch von Zufällen ab. Denn wie leicht vergisst man die Zeit bei interessanten Gesprächen oder Diskussionen. Auch das ist das Reeperbahn Festival.