Steve Hackett beweist Spielwitz bei der 'Seconds Out'-Tour in Frankfurt
Das war ganz anders geplant. Eigentlich wollte Steve Hackett im Herbst 2020 mit seiner Band das Live-Album "Seconds Out" von Genesis aus dem Jahr 1977 live aufführen. Erst eineinhalb Jahre später ist es dann wirklich soweit und der Gitarrist kann seinen Plan tatsächlich in die Tat umsetzen.
Noch sind die Corona-Maßnahmen präsent, überall in der Jahrhunderthalle herrscht Maskenpflicht, außer beim Verzehr von Essen und Trinken. Steve Hackett erwähnt die besondere Situation mit keinem Wort und auch das Konzert fühlt sich so an, als hätte es auch in vor-pandemischen Zeiten stattfinden können.
Kuriose Geschichte
Hacketts Idee, "Seconds Out" komplett live zu spielen, ist eigentlich ziemlich kurios. Er war auf der "Wind & Wuthering"-Tour des Jahres 1977, als das Album aufgenommen wurde, noch Mitglied der Band, stieg aber kurze Zeit später aus.
Die verbliebenden Mitglieder von Genesis reduzierten daraufhin die Lautstärke seiner Gitarre im Mix, so dass Gesang, Schlagzeug und Keyboards den Sound dominieren. Nun hat also Hackett die Gelegenheit, Jahrzehnte später seine eigene Interpretation nachzuschieben.
Solostücke von gestern und heute
Er beginnt das Konzert mit einem vierzigminütigen Set mit einer Auswahl seines Solowerks, das vielleicht keine ganz großen Höhepunkte bereithält, aber jederzeit gut hörbar ist. "Held In The Shadows" und "The Devil's Cathedral", die beiden neuen Songs von seinem aktuellen Album "Surrender of Silence" überzeugen mit einem dichten, rockigen Sound und jeder Menge Energie.
"Shadow of the Hierophant" und "Every Day" führen ihn hingegen in die Zeit seiner 1970er-Prog-Rock-Alben zurück, wobei besonders "Every Day" seine Verwandtschaft mit dem Genesis-Sound der Prog-Ära nicht verleugnet.
Auftakt mit Höhen und Tiefen
Die Gesamtperformance von "Seconds Out" startet mit Höhen und Tiefen. "Squonk", das Lied über ein erdachtes mythisches Wesen, ist eine wortreiche Tour de Force wie schon 1977. Wirklich schön gelingt die Interpretation von "Carpet Crawlers", bei der der leider nicht immer sichere Sänger Nad Sylvan die beste Performance des Abends abliefert. Geradezu genüsslich zelebriert er mit tiefer Stimme das bizarre, etwas beängstigende Szenario des Liedes.
Es folgen mit "Robbery, Assault & Battery" und "Afterglow" zwei sehr unterschiedliche Lieder, die aber gemeinsam haben, dass Nad Sylvan gesanglich an seine Grenzen gerät. Anstatt ihn dafür übermäßig zu kritisieren, kann man auch anerkennen, wie unerreichbar brillant Phil Collins auf den Originalaufnahmen gesungen hat. Collins selbst wäre dazu heute auch nicht mehr in der Lage.
Abgesehen von den leichten gesanglichen Schwächen überzeugt Hacketts eingespielte Band, in der Roger King an den Keyboards herausragt. Sie trifft fast immer den richtigen Ton, bleibt oft nahe am Original, ohne es jedoch nur zu kopieren. Auch am klaren und transparenten Sound in der Jahrhunderthalle gibt es nichts zu meckern.
Gelungene Klassiker – mit einer Einschränkung
Mit "Firth Of Fifth" folgt einer der großen Höhepunkte des Abends. Die Performance zeigt, wie wichtig es ist, das einleitende Klaviersolo der Studioaufnahme beizubehalten und nicht wegzulassen, wie Genesis selbst das oft getan haben. Es legt erst das Fundament für den epischen Song, der dann folgt und bildet gemeinsam mit der Coda einen unverzichtbaren Rahmen.
Ein wenig überrascht die Entscheidung, Rob Townsend das berühmte Flötensolo auf dem Saxophon spielen zu lassen, obwohl er im Verlauf des Konzerts noch zur Flöte greifen wird. Das nicht minder berühmte Gitarrensolo von Hackett löst erwartungsgemäß Begeisterung aus und lässt den sonst zurückhaltenden Gitarristen im Rampenlicht stehen.
Townsend hat kurze Zeit später noch einen verblüffenden Auftritt, wenn er in "I Know What I Like" ein extrem eigenwilliges Saxophonsolo spielt, das die Zuschauer denken lässt, sie seinen kurzerhand in einem Jazzclub gelandet. Über die Gründe der Entscheidung, diesen Part aufzunehmen, lässt sich nur rätseln.
Die Höhepunkte des Abends
Dann folgen fast nur Höhepunkte, beginnend mit "The Lamb Lies Down On Broadway" und einer ausgezeichneten Interpretation von "The Musical Box". Das große Highlight ist aber "Supper's Ready": Der Band gelingt es, dieses Stück mit seinen zahlreichen Stimmungs- und Tempowechseln so überzeugend aufzuführen, dass die Zuschauer begeistert aufspringen. "Da hat alles gestimmt", raunt mir ein Kollege zu – und dem ist gar nichts hinzuzufügen.
Zur Freude der Zuschauer geht es auf dem gleichen Niveau weiter. "The Cinema Show" wirkt frisch und gegenwärtig, wie überhaupt der ganze Abend verdeutlicht, wie gut diese Musik gealtert ist – auch dank des ausgezeichneten Songwritings.
"Dance On A Volcano" leitet dann den energetischen Abschluss des Abends ein, bevor "Los Endos" den traditionsgemäßen Abschluss bildet. Es war vielleicht kein perfekter Abend, aber ein sehr schönes Konzert, eine würdige Wiederauferstehung eines großen Livealbums.
Setlist
Set 1: Clocks - The Angel of Mons / Held in the Shadows / Every Day / The Devil's Cathedral / Shadow of the Hierophant
Set 2: Squonk / The Carpet Crawlers / Robbery, Assault & Battery / Afterglow / Firth of Fifth / I Know What I Like (In Your Wardrobe) / The Lamb Lies Down on Broadway / The Musical Box / Supper's Ready / The Cinema Show / Aisle of Plenty // Dance on a Volcano / Los Endos / Slogans / Los Endos
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